Steine Schmeißen. Eine Kurzgeschichte.

#CORONA #STAYHOME #ESGEHTWIEDERLOS #FREUNDEFEHLEN #WICHTIGIST #MACHTTEXTE

Von Nuschin Kronich (9/1)

Ich schlage die Tür zu – so kann ich mir die Zeit sparen allen „Hallo“ zu sagen und nebenbei fühlt sich das Scheppern gut an und hilft den aufgebauten Frust in mir abzubauen. Zumindest habe ich es so immer meinen Eltern erklärt. Ich lausche dem angeschalteten Fernseher im Wohnzimmer, während ich im Flur stehe: „Corona! Schon die fünfte Welle! Die monatlichen Todesfälle durch COVID-19 hat die 40.000 Marke geknackt! Hunderte Waisenkinder! Was tun?“ „Mein Gott!“, sage ich, „tausend Satelliten für den gleichen Scheiß“. Ich stürme los: „Niemand überlebt das Leben! Die Leute drehen langsam durch!“, rufe ich, „wir ertrinken hier doch im Überfluss und die da oben benutzen das nur um uns andere Sachen zu verheimlichen!“ Stimmt doch, denke ich mir und knalle erneut die Tür hinter mir zu, als ich rausgehe. So wissen alle, wo ich nicht mehr bin. Am Briefkasten angekommen, entdecke ich zwischen all den Zeitungen und den unzähligen Beileidsbekundungen, die an mich gerichtet sind, eine weitere Mahnung. Die Mahnungen wechseln ihre Farben – witzig, denke ich mir. Ich verweile am Briefkasten und schaue den Tauben dabei zu, wie sie gurrend kleine Kreise ziehen. „Seht ihr?“, schreie ich plötzlich auf, „selbst die Tauben verhalten sich normal! Ihr solltet euch alle ein Beispiel an ihnen nehmen!“ Vorbeigehende Passanten schauen mich an, als wäre ich eine Verrückte. Stimmt vielleicht auch. Mein Bruder hätte sich dafür sicherlich in Grund und Boden geschämt. Ich belächle unsere blauäugige Gesellschaft. „Unsere Gesellschaft ist kalt, doch auf einmal trauern wir um Verstorbene. Die sind alle weich geworden.“, murmele ich vor mir hin. Alles ist grau um uns herum. Beton klebt seit Jahren unsere Seelen zusammen. „Ihr habt uns in Beton geboren und wundert euch, dass ich mit Steinen schmeiße?“ Ich bin doch nicht dumm, mir ist klar, dass meine Meinung kontrovers ist, doch es stimmt. Das alles gibt es hier nicht wirklich, davon bin ich überzeugt, denke ich, während ich zurück zum Haus schlurfe. Man Vater hat es gehasst, wenn ich über die Kieselerde schlurfend Staub aufbrauste. Ich schiebe den Schlüssel langsam in das Schloss. „Trautes Heim, Knast allein“, höre ich die Stimme meiner Mutter in meinem Kopf. Ich schmunzle etwas – ich mochte ihren Humor. Ich öffne die Tür, der Fernseher läuft immer noch. Er läuft schon seit Wochen ununterbrochen, dann fühle ich mich zumindest nicht so alleine. Ich lege die Tür sachte ins Schloss, das habe ich noch nie getan, und lasse es meinen Erinnerungen zu mich endlich zu jagen. 

#SEIKREATIV
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