KÄPT’N K. EIN SELBSTVERSUCH – Über die Einzigartigkeit des menschlichen Körpers

Von Viktoria Sochor.

Wie ist mein Körper? Was zeichnet mich aus? Unter der Regie von Sarah Becker und Vivien Raudszus entwickelt die Balljugend eine szenische Lesung über die Körperwahrnehmung und Erfahrung junger Menschen, die von Humor und Selbstironie durchzogen ist und zugleich die Ernsthaftigkeit und die Relevanz des Themas widerspiegelt.

Das Stück zeigt wie der Körper die Identität jedes einzelnen Individuums prägt und welche Konfliktlinien sich – in einer Zeit der Selbstdarstellung- auftun, wenn der eigene Körper als Maßstab zum Vergleich anderer Menschen genutzt wird und ein Kampf um die Stellung des eigenen Körpers ausbricht. „KÄPT’N K. EIN SELBSTVERSUCH“ ist ein Stück, welches die Dimension zwischen Selbstakzeptanz, Selbstkritik und vorherrschenden Idealen in der Gesellschaft zeigt.

Über das Anderssein.

Die Szenerie: Im Hintergrund sieht man eine Video-Leinwand mit Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Körperteilen: Hände, Beine, Ohren, Arme und viele Gesichter wechseln sich in den einzelnen Szenen ab. Im Vordergrund ein Klassenraum mit sechs Schülern, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Jeder ist auf seine Art und Weise anders und doch bekommen sie alle die gleiche Aufgabe, einen Aufsatz über ihren Körper zu schreiben. Nacheinander lesen sie ihre Texte vor. Die meisten Schüler präsentieren ihren Körper wie eine Trophäe und heben einige Körperteile besonders detailliert hervor, andere hingegen lesen nur zögerlich vor und versuchen ihren Körper so kurz wie möglich und nur oberflächlich zu beschreiben: „Zwei Arme, zwei Beine. Ein Kopf mit Augen, Ohren, Nase, Mund und Haaren.“ Die Szene zeigt, dass jeder Mensch eine andere Körperwahrnehmung hat. Gäbe es theoretisch nur einen Menschen auf der Welt, würde er merken wie außergewöhnlich sein Körper ist? Vermutlich nicht. Besonderheiten zeigen sich erst im Vergleich. Und so beginnen die Schüler ihre Körper miteinander zu vergleichen und zu verteidigen. Es wird diskutiert, wer einen besseren Körper hat und welches Geschlecht, dass bessere sei. Erst im Vergleich werden die Unterschiede deutlich. Eine Schülerin beklagt sich über ihre kleine Körpergröße, ein anderer über seinen Körperbau.

Über Narben und Männlichkeit.

Die Schüler setzen die Diskussion fort, indem sie sich mit der Anzahl ihrer Narben profilieren, mit denen ihr Körper geziert ist. Hinter jeder Narbe steht eine Geschichte mit der sie sich gegenseitig übertrumpfen wollen. Während alle versuchen die Entstehung ihrer Narben besonders brutal und männlich darzustellen, sitzt ein Schüler in der hintersten Reihe und schaut seinen Mitschülern beim Diskutieren zu. Als er gefragt wird, warum er nichts über seine Narben erzählt, erwidert er, dass er keine habe. Seine Mitschüler reagieren empört, mit der Behauptung, dass JEDER eine Narbe hat. In dieser Szene zeigt sich wie die Lebenserfahrung den Körper des Menschen ausmacht. So wie jedes Leben unterschiedlich verläuft, entwickelt sich der Mensch anders und mit ihm sein Körper. Ein Körper mit einzigartigen Funktionen.

Der Körper: Nur ein Produkt biochemischer Prozesse?

Atmung, Verdauung, Blutzuckerspiegel, Immunabwehr, Kreislaufsystem – Betrachtet man die Abläufe im menschlichen Organismus dann fällt die Komplexität der Vorgänge auf, die jedoch zugleich auf das kleinste Detail abgestimmt sind. Der Körper tut dies von ganz allein, ohne, dass wir aktiv unseren Organismus daran erinnern müssen. Zugegeben, bei der Fülle an Vorgängen und Abläufen ist das sogar ganz gut.

“Mein Körper: Zwei Arme, zwei Beine. Ein Kopf mit Augen, Ohren, Nase, Mund und Haaren. Ein Mensch. Ein Mensch der fühlt, sieht, riecht, schmeckt und hört. So gesehen sind alle Menschen ganz genau gleich. Ich kann aber einfach nicht glauben, dass das alles sein soll.”

Bemerkt man durch die ganzen Selbstvergleiche die Unterschiede zu anderen Menschen, dann setzt sich ein Gefühl der Unzufriedenheit fest. Ebenso wie es bei den Schülern geschehen ist. Die eine hat längere Haare, die andere blauere Augen und der andere ist viel muskulöser als man selbst. Man fängt an Veränderungen anzustreben, um dieser Wunschvorstellung im Kopf zu entsprechen. Veränderungen sind keineswegs per se schlecht, schließlich soll man sich in seinem eigenen Körper auch wohlfühlen. Was jedoch nicht passieren darf, ist, dass man seine Individualität aufgibt, nur um einer Idealvorstellung zu genügen. Jeder hat seine eigenen Narben, seine eigene Lebensgeschichte, seinen eigenen Körper und seine Einzigartigkeit, die jedoch erst durch Unterschiede und ihrer Anerkennung sichtbar wird. Es ist eben nicht so wie auf der Video-Leinwand mit den Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Körperteilen, mit der die szenische Vorlesung begann, dass alles nach Mustern, nach Schwarz oder Weiß sortiert wird. Es ist so, dass der Körper in seiner Gesamtheit betrachtet werden muss, um das Bunte und Einzigartige zu finden.

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von Anders Noren.

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