Ein Beitrag von Leander Walter Wegener.
Deutsch Klasse 13, Rezension zu Jenny Erpenbeck „Gehen, ging, gegangen“.
,,Gehen, ging, gegangen“. Das Buch der Stunde, meinen viele. Nominiert für den deutschen Buchpreis. Jenny Erpenbecks Meisterstück. Kritische Aufarbeitung eines Themas das alle betrifft, nur die wenigsten aber interessiert.
Ebenso meinen viele das Gegenteil. Brave Literatur, provoziert keinen. Ignoriert den eigentlichen Konflikt, die eigentliche Krise. Keinen Mut, keine Courage. Die deutschen Literaturkritiker sind entzweit, Erpenbeck umstritten.
Doch wovon handelt dieses kontroverse Buch denn nun? Die eigentliche Handlung ist schnell erzählt. Ein alter Philologe spricht mit Flüchtlingen. Dieser Roman spielt, wer hätte es erraten, in Berlin. Der Stadt wo alles gesellschaftlich relevante in der Bundesrepublik abläuft. Erpenbeck wählte nicht das von Fremdenfeindlichkeit überschäumende Sachsen, wo die AFD schon 2014 mit der Flüchtlingskrise Wahlkampf machte. Sie wählte aber auch nicht Nordrhein-Westphalen, wo die Flüchtlingsheime und konfiszierten Turnhallen aus allen Nähten platzen, um der Lage Herr zu werden. Man wählte das staatsmännische Berlin, das aufgeschloßene, wo wie in keiner anderen Region der Bundesrepublik die politische Linke die Zügel in der Hand hält.
Der eigentliche gesellschaftliche Konflikt, das große Teile der Gesellschaft die Flüchtlinge ablehnen, wird beschönigt und ignoriert. Er äußert sich gerade mal in den vereinzelten leicht- rassistischen Kommentaren Richards Freunde.
Als ob alles gut wäre. Keine Provokation. Leichte Kost. Keine Ecken, keine Kanten.
Der Sprachwissenschaftlicher Richard spricht mit Flüchtlingen. Vielen Flüchtlingen. Glauben Sie mir, so viele das selbst der eifrige Leser sich die Namen nur schwer merken kann. So sind diese jedoch äußerst variabel eingestzt, so haben wir von Karon über Apoll bis zu dem Blitzeschleuderer alles dabei.
So begleitet Richard die Flüchtlinge, die er durch seine Gespräche kennenlernt und schließt neue Bindungen, manchmal sogar Freundschaften. Hier zeigt sich eine der größten Stärken dieses Werks.
Erpenbeck stellt die Menschlichkeit ins Zentrum.
Es geht um ihre Geschichten, durch diese Geschichten findet der Protagonist Richard in eine ganz neue Welt hinein. Die Geschichten fühlen sich echt an, man kann sie nachvollziehen. Sie sind glaubwürdig, man gewinnt das Gefühl das es sich dabei nicht um reine Fiktion handelt. Daran merkt man die gründliche Recherche Erpenbecks. Dem ist Respekt zu zollen. Dabei zeigt sich aber auch ein Problem. Man vergisst die Geschichten nach fünf Seiten, sie haben keine Gesichter.
Dies hat folgenden Grund. Es sind zu viele Charaktere, spätestens beim dritten Flüchtling hat man den Überblick verloren. Als ob man ein fremdes Jahrbuch durchblätterst, du versuchst dir die Namen zu merken, während jeder einzelne seine Lebenseschichte erzählt. Zuzüglich wandert Richard gern in seiner Vergangenheit. Die führt Richard auch in seine Ost-Vergangenheit, wo der Protagonist heutige Erlebnissse mit damaligen verbindet und sie gegeneinander aufwiegt. Diese Sprünge und Anekdoten sind zu anfang ganz amüsant und erheiternd, man kommt sich jedoch nachdem dem vierten Mal vor wie ein unfreiwilliger Teilnehmer eines Bingo-Spiels des DDR-Grundvokabulars anlässlich der diesjährigen Erich Honecker Gedächtnissparade.
Wie kam Erpenbeck auf den Gedanken diese beiden Askpekte zu mischen? Ost-Deutsche und Flüchtlinge, das passt so gut zusammen wie Karl Liebknecht und John D. Rockefeller. Eine explosive Mixtur, der beiden Askpekte die wohl in der heutigen BRD am heißesten diskutiert werden. Doch es funktioniert, die Askpekte harmonieren, unter den gegeben Umständen. Aus Sicht des unpolitischen Menschen klappt es, weil die Eckpunkte nicht rausgestellt werden.
Ist Erpenbeck ein Meisterwerk gelungen? Nein. Ist es Buch das den Konflikt konsequent betrachtet? Auf keinen Fall. Ist dieses Buch geeignet für Einsteiger in das Thema? Ja, weil es nicht so extrem ist, durch das neutral bleiben, fühlt sich der meinungslose abgeholt, angesprochen. Für positionierte, in meinem Fall zumindestens,ist es zu seicht. Ich frage wo ist der Extremismus?
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