Zwischen Schlürfern und Schnöseln

Es ist 11:30 Uhr, meine Schicht beginnt. Wie jedes Wochenende, mache ich mich auf den Weg zum Restaurant. Ein schneller Handschlag zur Begrüßung der Kollegen, danach wird die Schürze angelegt. Viel Zeit bleibt mir nicht. Die höchste Tugend der Gäste scheint Überpünktlichkeit zu sein. Kaum blicke ich zur Tür, strömen die ersten Gäste hinein. Manche halten es für nötig, ein „Guten Tag“ oder „Hallo“ wegzulassen. Mir würde es schon reichen, wenn sie eine Art von Begrüßung nur andeuten würden, sei es durch ein Kopfnicken, Gebärdensprache oder notfalls durch Rauchsignale. Aber wozu sollte man sich schon begrüßen? Wäre doch viel zu höflich. Wenn die Gäste dann hinein stolziert sind, begeben sie sich zu ihren Tischen. Nachdem sie den Einfallswinkel der Sonne, den mögliche, maximale Lautstärkepegel in Dezibel, den Weg zum Buffet, sowie zur Toilette in Metern berechnet und abschließend die Falttechnik der Servietten begutachtet haben, setzen sie sich endlich hin. Die erste Hürde ist geschafft! Nun bin ich an der Reihe. Ich drehe meine Runde mit Notizblock und Stift bewaffnet und befrage die Kunden, was sie denn gerne zu Trinken hätten. Jetzt fängt der Spaß richtig an. Da gibt es zu einem Leute, die zügig und deutlich hörbar ihre Getränke aufzählen (ca. 55% der Kundschaft). Zum anderen gibt es Spezialisten, denen es auf die Frage „Was würden Sie denn gerne zum Trinken bestellen?“ wortwörtlich die Sprache verschlägt. Sie starren mich an, als hätte ich sie aufgefordert die gesamte Bergpredigt zu zitieren. Ich versuche es nochmal .

– „Welche Getränke hätten Sie gerne?“ Kurze Pause.

– „Ehm, Wasser.“

– „Gut. Stilles oder mit Kohlensäure?“

-„Mit, bitte“

-„Okay, ein großes oder kleines Wasser?“

-„Ähhm, ein großes wäre gut. Wie groß ist denn ein Großes?

-„0,75 ml“

-„Oh, das ist ja viel zu viel. Dann ein kleines.“

Ich notiere schnell die Bestellung, bevor es sich der Herr noch anders überlegt. Nicht selten passiert es, dass eine komplette Gesellschaft á la 30 Personen an einem Tisch sitzt und fast Jeder keinen blassen Schimmer hat, was er denn bestellen könnte. Ich frage mich, ob sie einfach keine Lust haben ihren Mund zu bewegen, da das Atmen ihnen schon zu viel abverlangt oder, ob die Frage sie schlichtweg an ihre geistlichen Grenzen bringt.

Nachdem ich alle Bestellungen aufgenommen habe, tippe ich sie in den Computer und der Bon wird mit einem nervtötenden Piepen (es klingt sehr nach einem hohen ais) ausgedruckt. Nach einer kurzen Gieß- , Shake – und Mixphase sind die Getränke fertig. Ich schwinge mein schwarzes Tablett und bringe die Getränke zu den Gästen. Das ist auch wieder ein Spektakel. Hier zeigt sich wieder, wie aufmerksam und rücksichtsvoll die Meisten sind. Auf meinem Tablett stehen zwei Alster, ein Merlot, eine Cola und drei Wasserflaschen. Das kann schon eine wacklige Angelegenheit werden, wenn man Treppen hochgehen muss, während man gleichzeitig Gästen ausweichen muss. Im Idealfall laufen kleine Kinder mit ihrem High-Speed- Turbo um einen herum und stellen Fragen, wie „Was macht der Wind, wenn er nicht weht?“ Zwischendurch fragen andere Gäste dann noch, wo die Toiletten seien, wo man sein Auto parken könne, wann der nächste Zug fahre oder ob sie noch zwei Cappuccinos haben könnten. Nach der Fragerunde komme ich endlich am Tisch an und erkundige mich, wer, was bestellt hatte.

„Da sind Sie ja endlich, wir warten schon seit fünf Minuten.“ Betonung auf schon. Sooo lange, ich fass es nicht. Die müssen ja schon am Verdursten sein.

-„Einen Merlot?“

-„Ja, den hatte ich. Danke“ (Eine veraltete, selten verwendete Vokabel)

-„Bitte. Ein Alster?“

-„Wir hatten keins bestellt. Oder Horst?

-„Ehm, ein Alster…Hatte ich eins bestellt?“

So viel zu den fünf Minuten. In der Zeit scheint sich das Langzeitgedächtnis davongemacht zu haben. Aber zum Glück gibt es nicht nur solche Gäste.Viele versuchen mich in Gespräche zu verwickeln und halten sich für besonders „lustig“.

„Haben Sie schon probiert, ob das ´ne Cola light ist?“ Er bricht in schallendes Gelächter aus…Er sollte Komiker werden. Ob er erfolgreich sein wird, ist eine andere Frage. Aber besser solche Kunden, als arrogante Hähne.

Dann gibt es noch die Dankbaren. Meist ältere Menschen, die den Drang verspüren einen zu umarmen. Meistens geben sie mir extra Trinkgeld in die Tasche. (Sie denken, ich würde das nicht bemerken) und betätscheln meine Hand. Es fehlt nur noch, dass sie mir in die Wange kneifen. Aber sie sind so herzlich, dass ich es ihnen nicht übel nehmen kann.

Ich sehe, dass die Gäste an Tisch 4 gegangen sind. Schnell nehme ich mir ein Tablett, um die Gläser und Teller abzuräumen. Ich sehe mir den Tisch genauer an. Essensreste liegen nicht nur neben den Tellern, sondern auch darunter. Das Besteck liegt kreuz und quer zwischen den Tellern. Die Tischdecke ist so nass, dass man denken könnte, der Nil wäre kurz übergeschwappt. Die Servietten wurden in Gläser gestopft oder liegen auf dem Boden. Meine Stimmung ist gekippt, wie das Wasser auf dem Tisch. Mal ehrlich, manch Kriegsregion sieht nicht so aus. Ich muss mich beeilen und decke den Tisch schnell ein, bevor neue Gäste kommen. Ein paar Bestellungen später, bin ich glücklich, dass ich theoretisch Feierabend machen kann. Wenn da nicht die Leute wären, die meinen eine halbe Stunde länger da zu sitzen, obwohl wir schließen. Trotzdem muss ich noch dableiben und auch auf den letzten Gast warten. Nachdem wir alle Tische zurechtgerückt und eingedeckt haben, essen wir Kollegen zusammen. Ich gehe und schaue dem Restaurant noch einmal hinterher. Es war ein anstrengender Tag, dass spüren auch meine Arme und Beine, aber es hat mir Spaß gemacht. Es ist eine gute Abwechslung: Eine Mischung aus Bewegung, Beratung und Barkeeping.

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