Danke und Bitte, Synonym: fremd

Mit meinem Tagesretter bewaffnet, will ich mich gerade bedanken. Dan.., doch nein! Die Tür fällt mir ins Gesicht. Seit wann hält man einem noch die Tür auf? Ist wohl aus der Mode gekommen. Mit dem Kaffee auf der frisch gewaschenen Bluse, die gerade noch so aussah, wie in der Werbung, gleiche ich einer gefleckten Kuh. Wenn der Tag so weiter geht, fange ich vielleicht noch an zu muhen.

10 nach 8, mit dem Geruch von Waschmittel, Kaffee und abgestandener Luft in der Nase, stehe ich im Zug. Dass ich spät dran bin, liegt diesmal nicht daran, dass ich mit der Deutschen Bahn unterwegs bin. Ich gehöre zu den Menschen, die im Zug nichts tun, außer die Landschaft, falls man den Ausblick so nennen kann, zu genießen. Doch heute werde ich durch ein lautstarkes Headset- Gespräch eines klassischen Anzugträgers unterbrochen. Seine zwei Meter langen Beine hat er großzügig überschlagen. Neben ihm würde ich ungern im Flugzeug sitzen. Ich habe so schon Platzangst, aber das ist ein anderes Thema. Können wir das meeting canceln? Ich bin total busy und gejetlagt, sagt er mit wichtigtuerischem Blick.

Die monotone und gestellte, freundliche Frauenstimme ertönt aus den Lautsprechern. Der Zug hält, die Türen öffnen sich, niemand schaut hoch. Eine ältere Dame bewegt sich vorsichtig hinein. Sie sieht aus, wie eine Mischung aus Professor McGonagall und Dumbledore, bloß ohne Bart. Ihren Krückstock hält sie zitternd in einer Hand und berührt den Boden mit ihm so oft, dass ich mich frage, wann sie den Erdmittelpunkt erreicht hat. Endlich ist sie im Zug. Doch niemand steht auf, um Platz zu machen. Mein Blick wandert zu einer Gruppe von Schülern. In den Händen: Ein bratpfannengroßes Handy. (Meine Schneidebretter sind kleiner). Boah, ich schwör, hab bei Cundy-Crush Rekord gebrochen, Leute! Keiner antwortet, da alle wie hypnotisiert auf ihre überteuerten Geräte starren. Vielleicht haben sie die App „Wie lange kannst du auf dein Handy gucken, ohne zu blinzeln?“, installiert. Ich bin mir sicher, dass sie stark mit der App „Hold on“ konkurriert. Mit ihr kann man herausfinden, wie lange man seinen Daumen auf dem Display gedrückt halten kann. Kosten: 0,99 € und schon über 5.000 Downloads. Respekt! In den Kommentaren liest man: Tipp: Bindet über Nacht ein Gummiband ums Handy, so schafft ihr den highscore! Bei der Vorstellung, dass es Menschen gibt, die diesem Ratschlag nachgehen, bekomme ich Kopfschmerzen.

Die ältere Dame, die ich jetzt als Dumbledore- Oma getauft habe, sucht immer noch einen Sitzplatz. Schleppend steuert sie die Schülergruppe an. Ich kann es mir schon bildlich vorstellen: Der Candy-Crush- Junge versus die Dumbledore- Oma. Die Hutkrempe ins Gesicht gezogen, den Revolver gezückt, stehen sie sich gegenüber. Die Blicke verfinstern sich. Im Hintergrund wirbeln Steppenläufer durch den roten Sand, Aasgeier klatschen in die Flügel und feuern an. Über ihnen steht die gleißende Sonne. Wer wird gewinnen?

Entschuldigung, könntest Du bitte deine Tasche vom Platz nehmen, ich würde mich gerne setzen?Dann passiert das Überraschende, er schaut auf. Was laberst Du, seh´ ich so aus? 1:0 für den Jungen. Ich weiß nicht, ob ich dazwischen gehen soll. Bitte, meine Beine schmerzen…

Mann, was kann ich dafür? Meine Tasche braucht auch Platz. Sie schaut empört und greift ihren Krückstock noch fester. Einen Moment Stille. Er rollt die Augen genervt, schnaubt einmal und nimmt seine Tasche vom Platz. Sie setzt sich erleichtert. Danke, geht doch ,sagt sie freundlich. Altah, was willst Du noch? Halt einfach deine Fresse, sonst klatsch ich dich mit der Tasche weg. Die Dumbledore- Oma schweigt wie ein Grab. Drei Stationen später steigt der Junge mit seiner Sippschaft aus. Es kommt darauf an, wie man aussteigen definiert. Vielmehr fühlte ich mich an eine Dokumentation erinnert, in der eine Nashornherde auf Beutezug geht. Jeder Fahrgast wurde mindestens einmal angerempelt. Sie erreichten so zumindest eine Quote, die höher ist, als die einiger Fernsehsendungen. Endlich kehrt Ruhe ein, der Blick auf meine Uhr erinnert mich daran, dass ich viel zu spät bin. Ding Dong. Nächste Station: Hauptbahnhof. Bevor ich aussteige, lächle ich der Dumbledore- Oma zu. Sie sitzt dort, wie erstarrt, ihre Gehilfe immer noch fest im Griff. Man könnte denken, Sekundenkleber wäre zwischen ihrer Hand und dem Gehstock.

Kaum stehe ich sicher mit beiden Beinen auf dem Bahnsteig, landet ein Rucksack in meinem Gesicht, rollt ein Koffer über meinen frisch geputzten Schuh und ein Ellenbogen landet in meinem Bauch. Ist es so schwer Menschen zu sehen und ihnen auszuweichen? Auch, wenn ich nicht viel größer als ein Hobbit bin, kann ich doch einen respektvollen Umgang erwarten. Die einzigen die Platz machen, sind die Tauben, die brav ihre Brotkrümel aufpicken. Obwohl ihr Wortschatz nur aus gurr gurr und pick besteht, und ihre Kopfbewegung der eines Roboters gleicht, verstehen sie doch mehr, als man denkt. Ich würde mich wirklich freuen, wenn das Jugendwort des Jahres nicht Smombie, YOLO oder Babo ist. Wie wäre es denn mal mit Danke und Bitte, als Abwechslung? Nicht selten passiert es, dass der Gebrauch dieser „Fremdwörter“ schnell mit einem Flirt verwechselt wird. Ich schaue dem Zug hinterher und habe plötzlich starke Kopfschmerzen

3 Gedanken zu “Danke und Bitte, Synonym: fremd

  1. Zum Inhalt: Manchmal denke ich, hier könnte so ein kleiner Schul-Workshop hilfreich sein. Danke und Bitte wird heute nur noch selten gelehrt. Geht übrigens auch im Konfa-Unterricht. Wenn ich sehe, dass gerade an Weihnachten, viele ältere Menschen krampfhaft an irgendwelche Säulen geklammert dem Gottesdienst lauschen, während die Familien/Eltern mit ihren Menschenwelpen die Plätze blockieren, wird mir manchmal wirklich übel.

  2. @hhuckebeiin: Ich dedanke mich! Da würden nicht nur kleine Schul-Workshops helfen. Die Eltern müssen ihren Teil auch schon leisten und dafür Sorge tragen, dass solche „basics“ sitzen.
    Das Szenario in der Kirche kann ich auch oft beobachten, (wenn die älteren Leute nicht schon draußen warten müssen).

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